Google Blogoscoped

Tuesday, June 29, 2004

Drei Parabeln für eine vernetzte Welt (German)

Vom Phänomen der zerbrochenen Fenster

Wenn jemand ein Gästebuch ins Netz stellt, oder ein Wiki, oder irgendeine Implementierung von Gemeinschaftsinteraktion, so sollte auf tägliche Pflege geachtet werden. Denn ist erstmal die erste unverschämte Textnachricht, oder der erste hemmungslose Verweis auf die eigene kommerzielle Seite in diesem Forum, entstehen bald mehr solcher Unschönheiten.

Ähnliche Probleme der Verrottung gibt es auch in der Programmierwelt wenn das Quellprogramm von mehreren Leuten, an unterschiedlichen Orten und Zeiten, bearbeitet wird. Ist erst einmal eine krumme Funktion schnell geschrieben und nicht refaktorisiert im Anschluß, bricht bald das ganze Programm zusammen – weil jeder gemeint hat, das sei ja nun erlaubt, krumme Dinge in diesem Programm zu machen. Sowas kopiert sich wie ein Virus.

Man kann das Phänomen übrigens auch gut an sich selbst beobachten – die Raucher unter uns werden wissen, dass man sich zum Beispiel an einem Bahnhof erstmal auf dem Boden umguckt, ob da schon Zigarettenstummel liegen, bevor man seine eigene ausgerauchte Zigarette auf den Boden schmeisst. Man passt sich halt den Erwartungen und Gegebenheiten an, und Dreck auf dem Boden kann die Gemeinschaft umgehend und intuitiv als Zeichen deuten.

Eine schöne Illustration hierzu hat ihren Ursprung in New York. Bei Einsicht der Statistiken, und aus persönlicher Erfahrung, ist es der lokalen Polizei dort aufgefallen, dass bestimmte Verrohungserscheinung einer Umgebung oft nur eine kleine Initialzündung benötigen.

So ist ein Wohngebiet vielleicht jahrelang halbwegs in Schuß, bis aber nun die erste Fensterscheibe am Haus zerbricht, und diese nicht repariert wird innerhalb kürzester Zeit.

Zu den Glasscherben auf dem Boden gesellen sich nämlich bald Sprühereien an der Wand; diese wiederum sind gefolgt von kleineren Demolierungen an herumstehenden Autos; von Müll, der einfach abgelagert wird; von weiteren Glasscherben. Und das geht munter so weiter.

Kurz und gut, circa einen Monat nach unserer Initialzündung ist die komplette Nachbarschaft völlig verwahrlost. Und das alles nur, weil man eine kaputte Fensterscheibe nicht sofort repariert hat.

Von Steinsuppe und Soldaten

Das Perfekte ist der Feind des Guten. Das gilt auch für soziale Netze, die gerade durch Spontanität wachsen. Das heisst Strukturen entstehen von unten herauf, und nicht von oben herab. Oder wie der Wachstum einer Pflanze im Gegensatz zu einer Gußform, die erstmal da sein muß, bevor man die heiße Flüssigkeit darüber ausschüttet. Oft schon sind eigentlich sinnvolle Projekte gescheitert an der Frage: “Ja kann das Ding denn komplett alles, was wir brauchen? Nein? Dann warten wir, bis das fertig ist, was alles kann.”

Dazu habe ich eine schöne Geschichte gelesen in einem Buch zur Psychologie der Programmierung. Es war einmal ein kleiner Trupp von Soldaten die einkehrten in ein vom Krieg mitgenommenes Dorf. Ich stelle mir hier Barry Lyndon in einem Kubrick-Film vor, also eine eher altmodische Armee aus altmodischen Zeiten, mit Bajonett und roter Kostümierung. Die kleine Truppe gelangt also in das Dorf und klopft an einigen Türen auf der Suche nach etwas essbarem. Aber die Leute haben nicht wirklich genug, um was abzugeben.

Also nimmt ein Soldat einen Eisenkochtopf, füllt ihn mit Wasser, setzt ihn auf ein Feuer, und legt Steine in den Topf, der dann so vor sich hinbrutzelt.

Steine kann man nicht essen, aber von weitem mag das so ausgesehen haben, als wär jetzt sonstwas gutes im Topf. Und tatsächlich geht langsam eine Tür einer Hütte auf, und eine ältere Frau kommt mit ein paar Mohrrüben daher und legt sie in den Topf. Es kommen jetzt auch andere Leute, und jeder gibt was kleines dazu: Kartoffeln, Salz, Pfeffer, ein paar Äpfel, Bohnen, und vieles essbares mehr.

Zu guter Letzt nimmt der Soldat die Steine aus dem Topf. Und es gibt wunderbare Suppe, die das halbe Dorf ernähren kann.

Von den zerbrochenen Krügen

Das ist jetzt mal etwas eher in Märchenform, und wieder gibt es Scherben. Wenn sich jemand wundert, warum ich manchmal behaupte, ich interessiere micht nicht für Computer, würde ich am liebsten immer diese Geschichte erzählen. Ich interessiere mich nicht für Computer, sondern dafür, was man damit machen kann – ein Unterschied zu etwa dem, der gerne an Platinen herumschraubt (und Gottseidank gibt es Menschen, die genau das fasziniert, weil ich mir kaum meine eigene Kommunikationsmaschine bauen könnte).

In weit vergangener Zeit gab es einen Töpfer. Über sein Dorf hinaus war er bekannt für die vielen schönen Gefässe, die auf seiner Töpferdrehscheibe mit den Jahren so entstanden. In seiner Werkstatt häufte sich allerlei dekorierte Keramik, es roch nach nasser Erde, und für den Töpfer war dies das Glück.

Und nun begab es sich an einem sonnigen Tag, dass sich eine Frau einfand in die Werkstatt, und durch die staubige Luft hindurch hustete sie.
Und die Frau sprach: “Den Tag lang schaffst du mit deinen Händen hübsche Töpfe, in die wir Leute Wasser füllen. Sieh nun meine Hände an: sie sind verletzt und bluten. Aber du musst was von Händen verstehen!”

Und der Töpfer sagte: “Eigentlich hast du Recht, doch ich kann dir nicht helfen: wo ich doch nur das über Hände weiss, was mich schneller töpfern lässt.”
Da wurde die Frau böse, und sie nahm sich einen glasierten Krug, und zerbrach diesen auf dem Boden.

Am nächsten Tag, und die Luft war windig und kühl, fand ein Mann den Weg in die Behausung des Töpfers, und er klopfte sich die schwarzen Stiefel ab.
Und der Mann sagte: “Den Tag hindurch schaffst du mit deinen Händen schöne Töpfe, solche die wir mit Wasser füllen. Sieh nun mein Gesicht: es ist ganz grün, denn das Wasser, von dem ich trinke, ist nicht gut. Aber von Wasser wirst du was verstehen!”

Da sprach der Töpfer: “Das muss wohl so sein, doch ich kann dir nicht helfen: wo ich doch nur das über Wasser weiss, was meine Töpfe füllbarer macht.”
Darauf wurde der Mann zornig, nahm sich eine rote Karaffe, und schlug diese entzwei.

Am darauffolgenden Tag schlüpfte, von Regen und Donner getrieben, ein Kind in die Töpferei, und es sah am Boden die tönernen Scherben.
Und das Kind sagte: “Den ganzen Tag machst du mit deinen Händen schöne Töpfe, aus denen wir Wasser trinken. Sieh nun die Scherben am Boden: die sind garnicht schön. Aber von Schönheit wirst du was verstehen!”

Da antwortete der Töpfer: “Du hast Recht, und ich will dir helfen.” Und so machte der Töpfer aus den Scherben einen wunderbaren Krug, und diesen schenkte er dem Kind.

Advertisement

 
Blog  |  Forum     more >> Archive | Feed | Google's blogs | About
Advertisement

 

This site unofficially covers Google™ and more with some rights reserved. Join our forum!